Ganzsachen mit privaten Zudrucken sind bereits von den Ausgaben der Altdeutschen Staaten bekannt. Spätestens ab der Reichspostzeit ist jedoch davon ausgehen, dass nahezu alle amtlichen Ausgaben (Postkarten, Umschläge, Postanweisungen, Kartenbriefe) auch mit nicht amtlichen Zudrucken existieren. Dies hat unterschiedliche Gründe, unter anderem entdeckte man in den 1880er Jahren amtliche Ganzsachen der Reichspost als Werbemittel. Speziell Postkarten konnten so zum Träger von Werbebotschaften einzelner oder gleich mehrerer Firmen werden. Ist Letzteres der Fall, so handelt es sich um sogenannte Anzeigenkarten, bei denen bis zu zehn kurze Anzeigen auf einer Postkarte Platz fanden. Soweit die kurze Hinführung zu einem ungewöhnlichen Kartenbrief (K3), den es im Folgenden zu beschreiben gilt:
Es handelt sich um einen ungebrauchten Kartenbrief mit privatem Zudruck, der die Frage aufwirft, ob es Anzeigen-Kartenbriefe der Krone/Adler-Ausgabe gibt. Da bei Anzeigen-Postkarten aufgrund der zugedruckten Werbeanzeigen oft kaum Raum für handschriftliche Mitteilungen an den Adressaten blieb, bot die Einführung amtlicher Kartenbriefe zum 1. November 1897 eine Alternative. Rein quantitativ bietet ein Kartenbrief dem Absender im Innenteil etwa vier Mal so viel Raum zum Anbringen seiner Mitteilungen an den Empfänger wie eine Postkarte. Mit Blick auf den abgebildeten Kartenbrief, der als Entwurf für einen solchen Anzeigenbrief zu verstehen ist, bedeutet dies, dass zugleich auch mehr Werbeanzeigen platziert werden konnten.
Hierfür wurde der zur Verfügung stehende Innenraum des Kartenbriefs in einzelne Felder unterteilt, die offenbar Platz für bis zu dreizehn Anzeigen boten. Eine weitere vierzehnte Anzeige konnte auf der Außenseite unter der Klappe des Kartenbriefs platziert werden, ohne dass für den Empfänger bei Erhalt der Sendung ersichtlich war, dass im Innenteil gleich mehrere Werbeanzeigen auf ihn warteten.
In dem vorliegenden Kartenbrief sind bereits mehrere Werbeflächen als reserviert oder vergeben zugewiesen. Vollständig gesetzt ist jedoch nur die Anzeige der Berliner Corset-Fabrik W. & G. Neumann unter der Klappe auf der Außenseite. Im Innenteil sind die nummerierten Felder bereits einzelnen Firmen zugewiesen worden. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese noch weiter ausgestaltet werden sollten. Handschriftliche Vermerke belegen, dass die Vergabe der einzelnen Flächen noch nicht abgeschlossen war. So findet sich in den Feldern No. 3 und 4 übergehend die Notiz „Reserviert“ und in Feld Nr. 7 zudem ergänzt um den Hinweis „f[ür] 20.000″. Was es mit dieser Angabe auf sich hat, die sich auch in den Feldern No. 8 bis 10 findet, wo bereits Kundennamen als Platzhalter eingedruckt sind, lässt sich nicht mehr ermitteln. Möglicherweise handelt es sich hierbei um Stückzahlen, die die Anzeigenkunden von dem fertigen Anzeigen-Kartenbrief abzunehmen beabsichtigten.
Ein Kartenbrief, wie er hier abgebildet ist, findet sich in eben dieser noch unvollständigen Form bei Joachim Strahlendorff und Peter Mette im 2005 erschienenen „Katalog der Privatganzsachen Deutschland bis 1945.“ Dort ist dieser unter K3 Z3 als Entwurf gelistet. Bisher ist noch kein vollständiges Exemplar mit allen abschließend gesetzten Werbeanzeigen bekannt geworden.
Andreas Uhr uhrdresden[at]aol.com