Stempelkundliches


Bei der Betrachtung von sächsisch-thüringischen Stempeln der nachklassischen Zeit begegnen uns manche Besonderheiten. Diese sind im wesentlichen dargestellt in den inzwischen etwas veralteten MICHEL Stempelhandbüchern Teil I und II. Dort finden wir im Band I auf den Seiten 100/101 Stempel der Übergangszeit von 1868 bis ca. 1875, die aber auch in den Jahren danach noch verwendet wurden, und auf den Seiten 187-191 sind die ihnen folgenden Normstempel der Deutschen Reichspost ab 1875 behandelt. Was die Anordnung und Gestaltung von Datums- und Uhrzeitgruppe in den Stempeln betrifft, finden wir manches Ungewohnte im Vergleich mit den Stempeln anderer Gebiete des Norddeutschen Postbezirks und später des Deutschen Reichs. Teilweise gehen diese Abweichungen auf die sächsischen Altstempel zurück, die auf den Seiten 78/79 des o. a. Handbuchs dargestellt werden. Bei den Nachfolgestempeln gibt es z. B. solche mit abgekürzter Monatsangabe in Antiqua-Großbuchstaben, im Stempel WERDAU hat die Monatsangabe römische Ziffern.

Eine sächsische Spezialität in Rahmenstempeln ist auch der die Datumsangabe und die Uhrzeitgruppe trennende sog. sächsische Kugelstern, wobei die letztere manchmal fehlt und der Stern dann Tag und Monat vom Jahr trennt.

 

Einige Dresdner Einkreisstempel sowohl der Übergangs- als auch nachfolgend der Normzeit zeigen ‑ altsächsischer Übung folgend ‑ eine einzahlige Uhrzeit, und zwar eine römische Zahl für vormittags und eine arabische für nachmittags.

Abgesehen von diesen vereinzelten Fällen enthielten die Stempel aber, wie aus den Abbildungen 2 und 3 zu ersehen ist, nach der Stundenangabe ein „V.“ für „vormittags“ und ein „N.“ für „nachmittags“. Dies war eine 12-Stunden-Angabe, wobei wir mit dem Zusatz „V.“ Zeitangaben von 1.00 Uhr morgens bis 12.00 Uhr mittags vorfinden können und mit dem Zusatz „N.“ solche von 12.00 Uhr mittags bis 24.00 Uhr in der Nacht. In Abhängigkeit von der Größe bzw. Klasse der Postanstalt gab es verschiedene Sätze von Stundenblöcken. In der Postdienst‑Instruction war geregelt, daß „für diejenigen Postanstalten, bei welchen Briefaufgabestempel mit Stundenzahlentypen Anwendung finden, 13 Typen von Schriftgut mit Stundenzahlen geliefert werden.“ Es waren dies Typen für die dreizehn einzelnen Stunden von 7‑8 V. bis 7‑8 N. Darüber hinaus gab es die drei Typen 1‑7 V., 1‑8 V. und 8‑12 N. Die erste Stunde des neuen Tages sucht man dabei vergeblich. Die Stunde von 0.00 bis 1.00 Uhr in der Nacht war die sog. „Nullstunde“. In dieser Zeit wurden in größeren Postanstalten mit nächtlichem Postbetrieb z. B. unerledigte Sendungen bearbeitet. Eine Uhrzeitgruppe für diese Zeit gab es nicht.

Das „V.“ und das „N.“ wurden also als Zusatz zur Stundenangabe im Anhang an dieselbe in festen Blöcken geliefert und, wie der Befund zeigt, auch allgemein verwendet. Mit diesem Wissen schaut man, wenn man 30 Jahre lang Stempel gesammelt hat, nicht immer so genau auf die Abschläge. Aber vor einigen Monaten sprang mir aus dem Katalog einer kleinen Auktionsfirma doch ein Briefstück mit nachstehendem Stempelabschlag ins Auge:

Zu meinem Erstaunen sah ich dort die Uhrzeitgruppe 1‑8F. Was soll dieses „F.“ nun bedeuten. Es ist ein Stundenblock aus den frühen Morgenstunden, und ich vermute deshalb, daß das „F.“ = „Früh“ heißen soll.

Eine solche Abweichung ist schon bemerkenswert. Wie oben schon ausgeführt, wurden die Stundentypen zu den Briefaufgabestempeln geliefert. Die Stempel selbst rechneten zum „Büreau‑Inventarium“, welches wiederum zu den „Haupt‑Inventariengegenständen“ gehörte. Diese wurden allgemein auf Rechnung der Postkasse angeschafft und unterlagen strengen Regeln über Inventarisierung, Ersatzbeschaffung und Reparatur. Hinsichtlich der Ersetzung einzelner Typen zu den Stempeln fehlen detaillierte Regelungen. Wir wissen aber aus dem Befund späterer Jahre, daß Stempel mit normwidrigen Anordnungen bei feststehenden Stempelelementen (z. B. Vertauschung von Sternchen und Unterscheidungsbuchstabe, fehlende Sternchen, nur ein Sternchen oben in der Mitte, liegende Postamtsziffern usw.) von den Postbehörden abgenommen wurden und man damit den Stempellieferanten gewisse gestalterische Freiheiten einräumte. Möglicherweise hat man auch hier schon die Vorschriften nicht ganz so genau genommen.

Da es eine Bagatellregelung gab, bis zu der die Postanstalten Käufe und Reparaturen selbst veranlassen konnten, wäre es auch möglich, daß auf diesem Wege Ersatzbeschaffungen bei regionalen Lieferanten getätigt wurden, die Abweichungen aufwiesen.

Manfred Wiegand, Göttingen

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