Ballon-Fernfahrt "Leipzig-Tarnau vom 19.10.1897"


In der Zeit vom 24. April bis zum 19. Oktober 1897 fand in Leipzig die
 "Sächsisch-Thüringisch Industrie- und Gewerbeschau" statt.

Während der Ausstellung führte der französische Ballonfahrer Louis Godard mehrere Aufstiege mit einem Fesselballon durch, der mit einem starken Seil am Boden verankert war. Gegen eine Gebühr konnte man mit Diesem in eine Höhe von ca. 150 Meter aufsteigen und das Ausstellungsgelände besichtigen.

Am 7. Oktober wurde der Ausstellungsleitung für den letzten Tag der Veranstaltung eine Freiballon-Fernfahrt, die 1 bis 2 Tage andauern sollte, angekündigt. Als "Sponsor" für diese Fahrt konnte Godard den Inhaber eines der größten Geschäftshäuser in Leipzig, des Hauses "Deutsche Moden", Herrn August Polich, gewinnen. Vor dem Ende der Ausstellung wurde eine Sonderkarte gedruckt, die ein im Gartenstil gebautes Geschäftshaus von August Polich zeigte, daneben ein Portrait von Godard. Von diesen Karten konnten knapp 5.000 Stück verkauft werden, wovon 2.400 Stück mit dem Ballon nach Tarnau befördert wurden.

Sonderkarte anlässlich der Ballon-Fernfahrt, mit Bestätigungsstempel (R3) und privatem 3-zeiligen Eingangsstempel (vermutlich aus einem Handsetzkasten). Die Angaben der zurückgelegten Wegstrecke von 1.450 Kilometern weicht von der üblichen Angabe von 1.635 Kilometern ab. Weitere Karten mit Einschreibezetteln aus der Serie zwischen 100 und 200 mit dieser fälschlichen Angabe sind bekannt.


privater Bestätigungsstempel

Am 19. Oktober fand die Taufe des neuen Ballons auf den Namen "August Polich" statt. Die Vorbereitungen waren getroffen, der Korb des Ballons war mit 1.250 Kg Ballast, der in 49 Säcken verteilt war, sowie Proviant für 8 Personen für maximal 3 Tage beladen worden. Nachdem der Kapitän, sein Assistent und 6 weitere Mitfahrer im Korb Platz genommen hatten, konnte die Luftfahrt um 5:20 Uhr am Nachmittag beginnen.

Die Fahrt ging südlich an Berlin vorbei, weiter über Danzig, an der Ostseeküste entlang über Königsberg. Von dort aus ging die Fahrt landeinwärts über das Gebiet Russisch-Polens weiter, wo man die Städte Grodno und später auch Warschau tangierte, bevor man wieder deutsches Gebiet erreichte. Die Fahrt führte nun über Breslau nach Tarnau im Kreis Oppeln, wo man am 20. Oktober um 5:30 Uhr nachmittags zur Landung ansetzte.



Tarnau war zu dieser Zeit ein Dorf mit knapp 1.100 Einwohnern. Die örtliche Postagentur, die auch eine Telegraphenstation besaß, wurde von einem einzigen Postbeamten verwaltet. Nachdem der Ballon gelandet war und die Passagiere und Pressevertreter dort rund 25 Telegramme aufgegeben hatten, bekam der Postbeamte die 2.400 Karten ausgehändigt, wovon er 1.400 Stück als einfache Postkarten bzw. Drucksachen bearbeiten sollte. Die restlichen 1.000 Stück wurden als eingeschriebene Postkarten aufgegeben, die natürlich auch alle registriert werden mussten. Der Postbeamte erhielt zwar Unterstützung durch den Bürgermeister des Ortes, der wohl Mitleid mit Diesem hatte, aber die Postagentur war auf ein solches Postaufkommen einfach nicht vorbereitet. Daraufhin wurden am 21.10.1897 zwei Postbeamte aus Oppeln abgestellt, die auch die nötigen Vorräte an Marken und Einschreibezetteln mitbrachten. Trotz dieser Unterstützung dauerte es bis zum 24.10.1897, bis die letzten Karten bearbeitet waren und wieder Ruhe im Dorf einkehrte.

Dieter Sejak